Mischwesen
Bei den ältesten steinzeitlichen menschlichen Darstellungen handelt es sich um Mischwesen - halb Mensch, halb Tier. So findet sich am Ende der Höhle von Chauvet (30 000 Jahre v. Chr.) ein Wisent-Mensch-Wesen 1). In der Vogelherdhöhle (Baden-Württemberg) wurde eine ca. 30 000 Jahre alte Statuette aus Mammutelfenbein gefunden, die einen Löwenmenschen darstellt 2). In der Regel stehen die Mischwesen - wie Menschen - aufrecht, wobei der Oberkörper als Tier, während die untere Hälfte des Körpers und die Beine menschlich dargestellt sind.
Dies erinnert an das Tragen von Masken bei rituellen Tänzen wie es in heutigen traditionellen Kulturen beobachtet werden kann, wobei die Maskenträger in Trance Zugang zu der Kraft und der Macht des Tier(geistes) bekommen, das die Maske verkörpert. Die Trance ermöglicht die Aufgabe einer realitätsbezogenen Orientierung und erleichtert damit den Zugang zu einem anderen Erfahrungsrahmen, der durch das Erleben von Kraft und Zuversicht charakterisiert ist.
Insbesondere fällt auf, daß die vermutlich "magischen" Darstellungen (etwa Mischwesen - halb Mensch, halb Tier - oder "verletzte Menschen") nur an schwer zugänglichen Stellen oder am Ende einer Höhle zu finden sind, Stellen also, die nur mit Hilfe von Fackeln oder Fettlampen und z.T. nur mit Leitern erreichbar sind. Einige Autoren gehen davon aus, daß zumindest einige der Abbildungen mit Trancepraktiken in Verbindung gebracht werden können. Auch Beobachtungen bei heutigen traditionellen Kulturen deuten darauf hin: In einigen Bilderhöhlen bei den Sandawe in Tansania etwa befinden sich die Künstler während der Herstellung von Abbildungen in einem Trancezustand 3).
Literatur:
1) Chauvet, J.-M., Deschamps, E.B. & Hillaire, C. (1995). Grotte Chauvet bei Vallon-Pont-d’Arc. Altsteinzeitliche Höhlenkunst im Tal der Ardèche. Sigmaringen: Thorbecke.
2) Reinhardt, B. (Hrsg.; 1994). Der Löwenmensch. Tier und Mensch in der Kunst der Eiszeit. Sigmaringen: Thorbecke (Ulmer Museum)